Gegenwärtig ist das Thema Mobbing an Schulen wieder verstärkt in den
Medien präsent. Brutale Vorfälle in Berufsschulen nahmen ein derart
erschütterndes Ausmaß an, dass schwer weggesehen werden kann. Die Rufe
nach präventiven Maßnahmen zur Verhinderung werden dementsprechend
lauter. Denn nicht nur an Berufsschulen findet Mobbing statt. Viele
betroffene Eltern ahnen oder wissen um den traurigen, aber realen Alltag
an vielen Schulen, über den ihre Kinder eher schweigen, als zu sprechen
wagen. Und das, obwohl sie ganz offensichtlich mit schulischen
Schwierigkeiten hadern. Oft hindert Scham die Betroffenen, derartige Vorfälle
zu Hause oder in der Schule publik zu machen. Sie schweigen aus Angst,
dass die anschließende Initiative der Erwachsenen die Pein bei bekannt
werden mehr verstärken statt beenden könnte. Deshalb ertragen viele
Kinder und Jugendliche verbale und körperliche Attacken ihrer Mitschüler
über einen langen Zeitraum. Fragen nach der Schule werden immer
ausweichender und interessenloser beantwortet. Motivation und
Leistungsbereitschaft verschlechtern sich messbar, während gleichzeitig
die Tendenz steigt, dieser belastenden Situation aus dem Wege zu gehen.
Gemobbte Schüler klagen über psychosomatische Beschwerden wie
Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Bauch- oder Kopfschmerzen, um sich über
die Möglichkeit einer Krankschreibung entschuldigt vor dem Schulbesuch zu
schützen. Je intensiver sie sich gemobbt fühlen, umso mehr häufen sich
unentschuldigte Fehlstunden. Als letzte Alternative nehmen sie dann
Zuflucht in eine grundsätzliche Schulverweigerung, als Ausdruck für
ihren vollständigen sozialen Rückzug.
Mobbing kommt in allen Altersstufen vor. Während in den ersten
Schuljahren eher Geschicklichkeit und Sportlichkeit über Ausgrenzung bzw.
Zugehörigkeit zu einer bevorzugten Gruppe entscheiden, bestimmen in den
älteren Klassenstufen zunehmend provokatives Auftreten gegenüber
Erwachsenen, Markenkleidung, Modetrends und der Besitz von Technik den
Stand eines Kindes in seiner Klasse.
Je
älter Schüler werden, desto differenziert geschlechtsspezifischer mobben
sie. Jungen agieren ihre Aggressivität zumeist offen verbal und tätlich
aus. Mädchen nutzen überwiegend subtilere Möglichkeiten, in dem sie Gerüchte
verbreiten, bestehende Freundschaften manipulieren oder für soziale
Isolierung der Mitschüler innerhalb einer Gruppe sorgen. Diese
traumatisierenden Erscheinungsformen sind Ergebnis eines langen Prozesses,
den Mobbing-Opfer nur mit Unterstützung von außen beenden können. Zu
diesem Zeitpunkt sind sie nicht mehr in der Lage, sich selbständig und
allein zu wehren.
Unabhängig davon, in welchem Alter und über welche Verhaltensweise sich
der Rückzug Ihres Kindes andeutet, sollten Sie das Gespräch mit Ihrem
Kind suchen und dessen Erzählungen ernst nehmen, mit der Absicht, das
Verhalten Ihres Kindes als Vertrauensperson zu verstehen, ohne es in Frage
zu stellen. Meist entsteht dann auf Grund der Betroffenheit die Idee, dass
schnellsten ein deutliches Wort mit den Tätern die Situation ein für
allemal klären könnte. Bestimmt wäre das ein notwendiger Schritt,
jedoch zum falschen Zeitpunkt, da er möglicherweise die Qual der
Betroffenen verstärkt. Um Mobbing zu beenden, bedarf Ihr Kind zwar
unbedingt Ihre Stärkung und Unterstützung, die aber nur verändern
hilft, wenn parallel dazu eine Zusammenarbeit mit der Schule stattfindet.
Das
Phänomen Mobbing macht sich nicht vordergründig an einer typischen Persönlichkeitsstruktur
im Sinne eines Mobbing-Profils fest. Es ist Ergebnis vieler Bausteine, die
letztendlich von den Schülern ausagiert werden. Gleichwohl sind eher
angepasste und ängstliche Schüler bevorzugtes Opfer derartiger Attacken.
Abhängig davon, welche Verhaltensnormen ein Kind in seiner eigenen
Familie vermittelt bekommt, verfügt es über soziale Gewandtheit und
geeignetes Handwerkszeug, entweder Tätern angemessen die Stirn zu bieten
oder sich zurückzuziehen. Auch andersartiges oder auffälliges Aussehen,
körperliches Ungeschick bzw. geringe Frustrationsgrenzen prädestinieren
für diese Rolle eines Mobbingopfers.
Eine weitere Ursache für Mobbing liegt leider häufig in der
Zusammensetzung der Lehrer in den jeweiligen Schulen. Sie können je nach
pädagogischer Fähigkeit und individuellem Belastungsgrad im Unterricht
und in den Pausen hin- bzw. wegsehen, entsprechende Verhaltensweisen
entweder als normal oder eben nur als alterstypisch bewerten und damit
Vorkommnisse bagatellisieren oder aber ernst nehmen.
Für
den betroffenen Schüler ist die Erfahrung umso grausamer, wenn die Bitte
um Unterstützung vom Lehrer als nicht notwendig erachtet wird oder gar
die eigene Hilflosigkeit durch dessen Abwertung Verstärkung erfährt.
„Hab dich nicht so.“ „Du darfst nicht so zimperlich sein.“ „Du
bist doch selbst dran schuld, warum lässt du dich mit denen ein.“ Diese
bittere Erfahrung bei der Suche nach Hilfe lehrt Kindern auf fatale Weise,
dass Schweigen besser scheint! Eine Hürde, die dann Eltern überspringen
müssen, um Vertrauen aufzubauen, damit ihr Kind zu reden beginnt.
Eine andere Ursache kann in der Struktur der Schule selbst zu finden sein.
Abhängig vom Gesamtkonzept – für das die Schulleitung Verantwortung trägt
– bestehen grundsätzlich präventive Maßnahmen gegen Gewalt und
Mobbing und wird dem Austausch mit Eltern und Schülern genügend Raum
gegeben.
Mobbing ist vor allem das Ergebnis einer gestörten Kommunikation. Während
die Täter rückmeldungsfrei weiter ihr grausames Spiel treiben, ohne von
den Verantwortlichen deutliche Grenzen für ihre Schikanen gesetzt zu
bekommen, isolieren sich die Opfer schweigend. Passive Schüler schauen
belustigt oder ratlos zu. Schwelende Konflikte wuchern somit ungelöst bis
zur Eskalation weiter unter der Oberfläche. Auf Grund dessen sollten Sie
deshalb nie ohne Zustimmung Ihres Kindes zuerst den Kontakt zu den Schülern
aufnehmen, die Ihr Kind drangsalieren. Es würde die ganze Situation
destruktiv fördern statt unterbinden helfen. Ratsamer ist ein Gespräch
mit dem Klassenlehrer bzw. der Schulleitung, um einerseits auf das Problem
ihres Kindes aufmerksam zu machen und um andererseits notwendige
Informationen über interne Schulabläufe zu erhalten. Oft berichten
Kinder, dass sie sich auch von einzelnen Lehrern gemobbt fühlen. Stoßen
Sie bei Ihrer Bemühung um ein konstruktives Gespräch auf wenig
Interesse, dann sollten Sie sich an die nächst höhere Hierarchieebene
wenden, mit der Absicht, den Kreis der erwachsenen und verantwortlichen
‚Mitwisser’ zu erweitern. Auch Elternabende, die Einbeziehung des
Schul- bzw. Elternbeirats sind Möglichkeiten, um auf das Problem generell
aufmerksam zu machen, weil es häufig bei anderen Eltern nicht bekannt
ist, solange es nicht ihre eigenen Kinder betrifft.
Erfragen Sie in den Gesprächen geplante und konkrete Handlungsstrategien,
mit denen innerhalb der Schule gegen Mobbing vorgegangen wird. Wie werden
Täter zur Rede gestellt? In welchem Rahmen und durch welche Unterstützung
von Lehrer lernen Täter und Opfer anders miteinander umzugehen und
Konflikte konstruktiv zu lösen?
Haben Sie jedoch den Eindruck, dass Ihnen angemessene Unterstützung
seitens der Schule fehlt, bleibt oft nur noch der harte Schnitt der
Umschulung übrig, den Sie allerdings mit ihrem Kind genau besprechen
sollten. Denn als ‚Neue/Neuer’ in einer Klasse besteht zwar die Chance
eines Neubeginns – möglicherweise unter besseren Rahmenbedingungen,
aber auch als neuer Schüler in einer bereits gewachsenen Klassenstruktur
muss Ihr Kind den Mut haben, sich behaupten zu lernen. Nach einem
erfolgten Schulwechsel helfen Sie Ihrem Kind durch einen kontinuierlichen
Austausch mit den Lehrern und die Auswertung von positiven (!) und
kritischen Schulereignissen. Auf diese Weise unterbinden Sie von Beginn an
eine mögliche Isolation und helfen Ihrem Kind, mit mehr Mut und
Selbstvertrauen Konflikten entgegenzutreten. Fühlt sich ein Kind in ein
starkes soziales Netz innerhalb und außerhalb der Schule eingebunden,
wird Mobbing ein erforderlicher Nährboden entzogen.
Vertiefende und weiterführende
Literatur
Hurrelmann
K, Rixius N, Schirp H (2000) Gewalt in der Schule. Beltz
Schäfer
M, Frey D (1998) Aggression und Gewalt unter Kindern und Jugendlichen.
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