Der Umgang mit Schlaganfall-Betroffenen gestaltet
sich oft schwierig. Neben einer körperlichen Behinderung bringt diese
Erkrankung auch Einschränkungen von intellektuellen Funktionen mit sich.
Oft sind die Defizite für einen Gesunden schwer nachvollziehbar, was
leicht zu Missverständnissen führt. Manchmal ändert sich die emotionale
Welt des Betroffenen so stark, dass die Beziehung aufs Neue aufgebaut
werden muss. Sind die neuen Charakterzüge eine Reaktion auf extreme
Belastung oder Folge von Veränderungen im Gehirn? Wo liegen die Defizite?
Wie kann ich helfen? Das sind die Fragen, die in den ersten Tagen und
Wochen nach einem Schlaganfall oft gestellt werden.

Oft treten nach Schlaganfällen
Gedächtnisstörungen auf. Manchmal kann sich der Betroffene nicht an die
wichtigsten Ereignisse des eigenen Lebens erinnern. Die Geburtsdaten der
Kinder, die eigene Adresse und Telefonnummer und andere wichtige Details
verschwinden auf einmal aus dem Gedächtnis. Der Verlust dieser
Erinnerungen ist für den Betroffenen und seine Familienangehörigen sehr
belastend, weil diese Informationen einen wichtigen Teil unserer Identität
darstellen. Die Reaktionen auf diese Verunsicherung reichen vom völligen
Rückzug auf beiden Seiten bis zum übertriebenen Wunsch ständig zu üben,
damit die entsprechenden Daten ins Gedächtnis „eingeprügelt“ werden.
Beide Strategien führen meist in die Sackgasse. Meiden die Angehörigen
die entsprechenden Themen, fühlt sich der Betroffene ausgeschlossen und
abgeschrieben. Dadurch wird es für ihn schwieriger, eigene Probleme
anzusprechen und nachzufragen. Außerdem verpassen sie damit eine wichtige
Chance, das Gedächtnis wieder zu aktivieren. Dabei ist die Unterstützung
von Familienangehörigen gerade bei der Behandlung dieser Art von Störungen
entscheidend. Nur sie können die Erinnerungslücken durch ihr eigenes
Wissen schließen. Das heißt jedoch nicht, dass der Betroffene sofort mit
großen Mengen an vergessenen Daten konfrontiert und bei jedem Besuch dazu
befragt werden soll. Diese Art von „Training“ wirkt eher deprimierend
und führt zu Denkblockaden, wodurch die Leistungen meist noch schlechter
werden. Als sinnvoll erweisen sich dagegen Erinnerungshilfen wie Fotoalben
und Tafeln mit Namen, Adressen und Geburtsdaten von wichtigen
Bezugspersonen. Auch die Möglichkeit, im ungezwungenen Gespräch die
Erinnerungen wachzurufen, ist nicht zu unterschätzen. Reden Sie ruhig über
alte Zeiten, erzählen Sie die Neuigkeiten über Personen, die der
Betroffene früher kannte. Fragen Sie auch nach Ereignissen der letzten
Tage, wie z. B. danach, was es heute und gestern zu Mittag gab, wie
die wichtigen Bezugspersonen auf der Station aussehen, was die Ärzte in
der Visite gesagt haben. Auch wenn die Antworten am Anfang knapp ausfallen
und eher geraten als erinnert erscheinen, wird der Betroffene dadurch
animiert, sein Gedächtnis zu aktivieren und neu zu strukturieren.

Je nachdem ob der Schlaganfall
die rechte oder linke Hirnhälfte betrifft, zeigen sich unterschiedliche
Störungsbilder. Bei den Patienten, bei denen die Beweglichkeit der linken
Körperhälfte eingeschränkt ist, - der Schlaganfall liegt dabei in der
rechten Hirnhälfte - kommt es oft zu einer Störung der Wahrnehmung der
linken Seite, die in der Fachsprache als Neglekt bezeichnet wird. Die
Betroffenen neigen dazu, die linke Raumhälfte zu übersehen: sie finden
den Trinkbecher nicht, der links vor ihnen auf dem Tisch steht und lassen
das Essen auf der linken Seite ihres Tellers unangetastet, das Lesen wird
unmöglich, weil die Betroffenen den Anfang der Zeile nicht finden können.
Für einen gesunden Menschen ist es schwer nachzuvollziehen, dass jemand
seine linke Seite vernachlässigt, obwohl die Sinnesorgane nicht gestört
sind, denn meistens kann der Betroffene sowohl links als auch rechts
normal sehen und hören. In Folge des Schlaganfalls wurde die Existenz der
linken Raumhälfte vergessen und der Betroffene steht jetzt vor einer
schwierigen Aufgabe aufs Neue zu lernen, damit umzugehen. Dies ist ein
langwieriger Prozess, der viele Monate in Anspruch nimmt. Wir können den
Betroffenen darin unterstützen, indem wir einfache Regeln beachten:
·
Ihm
erklären, dass er die linke Seite übersieht. Die Besonderheit dieses
Krankheitsbildes besteht darin, dass kaum jemand es selbständig bei sich
selbst erkennen kann.
·
Ihn
häufig von der linken Seite ansprechen, damit er sich gewöhnt, nach
links zu schauen.
·
Ihm
helfen, die links von ihm liegenden Gegenstände selbstständig zu finden,
indem er immer wieder daran erinnert wird, noch weiter nach links zu
schauen.

Ein weiteres Problem, das
oft zusammen mit Neglekt auftritt und die Angehörigen besonders belastet,
ist eine selbstüberschätzende Haltung des Schlaganfall-Betroffenen. Die
vorliegende körperliche Behinderung wird geleugnet, der Pflegeaufwand
unterschätzt, die Erwartungen an die Unterstützung durch verschiedene
Seiten ist zugleich sehr hoch. Die Grundhaltung den Angehörigen und dem
Personal gegenüber ist oft fordernd bis rücksichtslos. Dadurch wird es für
die Familie besonders schwierig, die Versorgung nach der Entlassung
rechtzeitig vorzubereiten. Die Betroffenen neigen dazu, alle Hilfsangebote
als unnötig abzulehnen. Typische Aussagen sind: „Ich Brauche keine
Hilfe beim Toilettengang, die Schwester zieht bloß die Hose runter“,
„Ich kann immer Nachbarn fragen wenn ich Hilfe - bei der täglichen
Hygiene und Essenszubereitung - brauche“, „Zu Hause kann ich wieder
laufen, dort konnte ich das schon immer“. Daher sind die Betroffenen für
sachliche Argumente oft wenig zugänglich und reagieren leicht gereizt und
aggressiv. Oft wechselt die Stimmung ganz plötzlich zwischen Selbstüberschätzung
und Selbstmitleid. Beim Umgang mit einem solchen Patienten ist es daher
wichtig, diese Situation als ein Teil der Erkrankung zu erfassen und die
entsprechenden Diskussionen zu meiden. Die Versuche, den anderen durch
handfeste Tatsachen zu überzeugen, belasten nur die Beziehung und
frustrieren beide Seiten.

Ganz anders ist das
Krankheitsbild, wenn ein Schlaganfall in der linken Hirnhälfte vorliegt -
meistens mit Störungen in der rechten Körperhälfte verbunden. Bei den
meisten Menschen ist diese Hirnhälfte für die Sprachproduktion
verantwortlich. Die entsprechenden Schlaganfälle sind daher sehr oft mit
Störungen der Sprache verbunden. Die Palette reicht von sehr leichten Störungen,
bei denen dem Betroffenen geläufige Wörter nicht immer einfallen, bis zu
völliger Unfähigkeit verständlich zu sprechen und Sprache zu verstehen.
Das Verständnis für Zahlen und das Rechnen sind in diesem Fall oft auch
beeinträchtigt. Manchmal treten so genannte Apraxien auf: bei diesem Störungsbild
verlernt der Patient alltägliche Bewegungsabläufe und ist nicht mehr in
der Lage mit gewohnten Gegenständen wie z. B. Zahnbürste oder Haarkamm
sinngemäß zu hantieren. Die Patienten mit einem Schlaganfall in der
linken Hemisphäre erkennen meistens die vorliegenden Defizite und sind
dadurch stark belastet. Dies führt oft zu Selbstvorwürfen, dem Gefühl,
verdummt zu sein, Mutlosigkeit und Verzweiflung bis hin zu einer
Depression. Es ist daher sehr wichtig, dem Betroffenen das Gefühl zu
geben, dass er trotz vorhandener Schwierigkeiten geliebt und geachtet
wird. Diese Patienten neigen eher dazu, eigene Erfolge zu übersehen und
die Defizite zu betonen. Sie fühlen sich meist gestärkt und ermutigt,
wenn die Behandlungserfolge von anderen Menschen erkannt und angesprochen
werden.

Es passiert häufig, dass der emotionale Ausdruck bei
Schlaganfall-Betroffenen schwer kontrollierbar wird. Die Menschen werden
weinerlich ohne traurig zu sein oder neigen zu übertriebenen Lachanfällen,
wobei Letzteres jedoch seltener auftritt. Die Betroffenen beschreiben,
dass ihnen bei jeder etwas unangenehmen Erinnerung die Tränen fließen,
obwohl sie selbst merken, dass die Reaktion unangemessen ist. Die Weinanfälle
können so zu einem eigenständigen Belastungsfaktor werden. Familienangehörige
neigen oft dazu, diese Reaktion mit dem Weinen aus tiefer Traurigkeit zu
verwechseln. Die Reaktionen reichen vom besorgten Nachfragen über den
Grund der Traurigkeit bis zu Forderungen, sich zusammenzureißen. Beides löst
jedoch einen regelrechten Teufelskreis aus: der Betroffene setzt sich
immer mehr unter Druck, mit dem Weinen aufzuhören, und genau durch diesen
Druck wird der Anfall immer stärker. Oft führt diese Situation dazu,
dass die Besuche von Familienangehörigen zu einer zusätzlichen Quelle
der Belastung werden. Bei dieser Art von Weinanfällen hilft dem
Betroffenen am besten, dem Weinen keine größere Aufmerksamkeit zu
schenken, sondern sich anderen Themen zuzuwenden. Hierdurch kann man von
den belastenden Faktoren weg lenken und alternativ Aspekte anbieten, die
die Lebensqualität verbessern helfen. Zuvor sollte man sich jedoch durch
Rücksprache mit dem Betroffenen und den Ärzten vergewissert haben, dass
das Weinen nicht Ausdruck einer tiefen inneren Verzweiflung und
Traurigkeit ist.

Vertiefende
und weiterführende Literatur:
Sprachstörungen nach einem
Schlaganfall - Vom Umgang mit Schlaganfall-Betroffenen (2). Helena
Harms. IPSIS, 2002
Und
wieder blühen die Rosen - Mein Leben nach dem Schlaganfall.
Hildegund Heinl. Kösel, 2001
Neuropsychologische
Störungen und ihre Rehabilitation. Mario Prosiegel. Pflaum, 2002
Neuropsychologie
im Alltag. Goldenberg, Pössl, Ziegler. Thieme, 2001
Schlaganfall. Christian Zippel. Verlag Gesundheit, 1998. - Vergriffen, teilweise noch in Antiquariaten
erhältlich, z.B. Antiquariat
Bechtel
Schlaganfall
- Wie Sie sich auf ein verändertes Leben einstellen. Wilhelm/Lauer.
TRIAS, 2002