Wird bei einem Schlaganfall oder einem Unfall die
sprachdominante Hemisphäre geschädigt (das ist die Hirnhälfte,
die bei einem Menschen überwiegend für die Steuerung der Sprache und des
Sprachverständnisses zuständig ist, bei den meisten Rechtshändern ist
dies die linke Hirnhälfte), kommt es oft zu Sprachstörungen. Diese können
unterschiedlich stark ausgeprägt sein. In schweren Fällen kann es zu
einem totalen Sprachverlust kommen. Das heißt, dass die Fähigkeit zu
sprechen und die Sprache zu verstehen komplett verloren geht. Der Ausfall
der Sprache bedeutet jedoch nicht, dass auch andere intellektuellen
Funktionen betroffen sein müssen. Sehr oft versteht der Betroffene, was
mit ihm passiert ist. Er ist in der Lage, nicht-sprachliche Informationen
wie Aufforderungen durch Gesten und Gesichtsausdrücke richtig zu
interpretieren. Es ist daher sehr wichtig die Kommunikation so zu
gestalten, dass Missverständnisse vermieden werden und der Betroffene
eine Chance erhält, seine Stimmungen und Bedürfnisse mitzuteilen.
Dabei gilt es zu verstehen, welche Art von Schwierigkeit im Vordergrund
steht. Es wird zwischen Störungen der Sprache und des Sprechens
unterschieden. Eine Störung des Sprechens, Dysarthrie
genannt, bedeutet, dass die Mundmotorik gestört ist, so dass bestimmte
Laute nicht mehr ausgesprochen werden können und die Sprache insgesamt
verwaschen und unverständlich klingt. Die Zentren im Gehirn, die dafür
zuständig sind, sind jedoch intakt. In diesem Fall versteht der
Betroffene alles. Wenn keine weiteren Einschränkungen vorliegen, sind für
ihn auch Lesen und Schreiben möglich. Die Kommunikation über diesen Weg
ist in solchen Fällen eine gute Möglichkeit. Ist das Schreiben durch
weitere Behinderungen erschwert, werden Buchstabentafeln verwendet. Der
Betroffene kann dann seine Äußerungen buchstabieren, indem er auf
einzelne Buchstaben zeigt. Da diese Methode sehr aufwendig ist, kommt es
oft dazu, dass kleine alltägliche Entscheidungen über den Kopf des
Patienten hinweg getroffen werden. Diese in den Kliniken oft
unvermeidliche Situation ist für den Betroffenen sehr belastend. Es ist
daher hilfreich, wenn sich Angehörige die Zeit nehmen, wichtige
Alltagsfragen mit ihm zu besprechen und seine Wünsche an das
Klinik-Personal weiterzugeben: bequeme Liegeposition, angenehme
Temperatur, Kleidungswunsch usw. – solche Kleinigkeiten machen den
Alltag des Betroffenen aus, und gerade sie werden bei der Kommunikation
mittels einer Sprachtafel oft vergessen. Denken Sie daran, dass der
Patient kaum eine Chance hat, sich zu etwas zu äußern, wenn er nicht
gefragt wird. Fragen Sie öfters, ob es noch etwas gibt, was er besprechen
möchte. Die Fähigkeit, eigene Wünsche und Gedanken durch Sprache
mitzuteilen, bleibt ja intakt, nur das Sprechen ist durch die Störung
sehr erschwert.
Anders ist es, wenn das Sprachzentrum im Gehirn betroffen ist. Bei
dieser Erkrankung, die Aphasie genannt wird, kommt es zum Ausfall
einer oder mehreren Funktionen, die für den Aufbau der Sprache notwendig
sind. Um einen Gedanken oder einen Wunsch auszusprechen, führen wir
unbewusst eine ganze Reihe von Schritten aus: passende Wörter werden aus
dem Gedächtnis abgerufen und von ähnlichen Begriffen getrennt. Daraus
werden nach bestimmten Regeln Sätze gebildet, die im letzten Schritt in
ein motorisches Programm umgesetzt werden, das Sprechen oder Schreiben ermöglicht.
Ähnliche Schritte sind notwendig, um gesprochene oder geschriebene
Sprache zu verstehen. Je nach dem, welche dieser Funktionen nicht mehr
ausgeführt werden kann, kommt es zu verschiedenen Störungen. Der
Betroffene kann Schwierigkeiten damit haben, passende Wörter zu finden
oder ähnliche Begriffe zu unterdrücken. Im letzteren Fall merkt der
Betroffene oft gar nicht, dass er „Apfel“ statt „Birne“ und „März“
statt „Juni“ sagt. Es ist auch sinnlos zu fordern, er sollte sich mehr
auf seine Sprache konzentrieren. Genauso wie ein Patient, der nach einem
Schlaganfall seinen Arm nicht bewegen kann, ist der Betroffene in diesem
Fall nicht in der Lage, die Begriffe zu filtern und sich für das Richtige
zu entscheiden.
Ist dagegen die Umsetzung in Bewegungsimpulse gestört, werden die
Wörter zwar richtig ausgesucht jedoch entstellt ausgesprochen, einzelne
Silben und Laute werden vermischt, oft werden Teile von verschiedenen Wörtern
willkürlich miteinander kombiniert. Meistens ist sowohl die gesprochene
als auch geschriebene Sprache davon betroffen, es kann also nicht auf das
Schreiben ausgewichen werden. Andere Kanäle der Kommunikation gewinnen
dagegen an Bedeutung. Insbesondere wenn Sprache und Sprachverständnis
sehr stark gestört sind, ist es wichtig, auf die eigene Mimik und Körpersprache
zu achten. Das Lächeln sollte auf keinen Fall fehlen, wenn wir einen
solchen Patienten ansprechen. Für ihn ist es ein wichtiges Signal, dass
wir es gut mit ihm meinen. Eine ernste Miene versteht er als verärgert
oder bedrohlich. Aus dem selben Grund sollte jede Art von Hektik vermieden
werden. Der Betroffene ist leicht zu verunsichern und braucht viel Zeit,
um sich in einer neuen Situation zurechtzufinden. Wichtig ist es auch,
seinen Rückzug zu akzeptieren. Insbesondere am Anfang wollen viele in
dieser Situation in Ruhe gelassen und nicht angesprochen werden. Nach dem
Kontaktaufbau gilt es, die neuen Formen der Kommunikation zu entdecken und
auszuprobieren. Es gibt eine Menge nicht sprachlicher Mitteilungen, die
vom Betroffenen verstanden werden: das vorgehaltene Glas bedeutet meistens
eine Aufforderung zum Trinken, wird eine Jacke aus dem Schrank genommen,
heißt es, dass man sich anziehen und das Haus verlassen will. Auch kurze,
langsam und deutlich ausgesprochene Sätze oder nur einzelne Stichwörter
werden oft verstanden. Man braucht dabei auch nicht besonders laut zu
sprechen.
Wichtig ist zudem die Unterscheidung zwischen einer flüssigen und einer
nicht flüssigen Aphasie. Bei einer nicht flüssigen Aphasie wird
der Betroffene schweigsam und wortkarg, die Sprache ist von längeren
Pausen unterbrochen. Oft verleiten diese Pausen den gesunden Gesprächspartner
dazu, die Initiative im Gespräch zu übernehmen. Bei Aphasikern scheint
jedoch das Empfinden für das „Dosieren“ von Pausen gestört zu sein,
außerdem brauchen sie oft mehr Zeit, um die nötigen Worte zu finden.
Unser Eingriff wird daher als ein Zeichen der Ungeduld empfunden, der
Betroffene fühlt sich verletzt und zieht sich womöglich zurück, um
weitere Kränkungen zu vermeiden. Wir müssen daher lernen, längere
Pausen im Gespräch auszuhalten.
Das gegenteilige Problem haben Patienten mit einer so genannten flüssigen
Aphasie: einmal angefangen zu sprechen, finden sie kein Ende mehr,
vermischen dabei sinnvolle Sätze mit Floskeln und unpassenden Sprüchen.
Oft werden dabei sinnlose Wörter erfunden oder bekannte Wörter
entstellt. Die Kommunikation mit dieser Gruppe von Aphasikern gestaltet
sich besonders schwierig, weil der Gesprächspartner durch deren Redefluss
meistens überfordert wird. Die von uns intuitiv befolgten Sprachregeln
besagen, dass wir erst etwas äußern dürfen, wenn der Gesprächspartner
eine kleine Pause einlegt. Dem Anderen mitten im Satz ins Wort zu fallen,
ist meist mit einer gewissen Überwindung verbunden. Eine sinnvolle
Kommunikation ist in diesem Fall jedoch erst dann möglich, wenn wir uns
bewusst machen, dass der Betroffene seinem Rededrang ausgeliefert ist und
unsere Hilfe bei der Strukturierung des Gesprächs braucht.
Bei jeder Art der Aphasie ist es jedoch wichtig, dem Betroffenen das Gefühl
zu geben, dass die Kommunikation möglich ist, dass wir vieles
verstehen, was er uns sagen will und auch an seinen Gesprächbeiträgen
interessiert sind. Oft kommen die Gesunden in die Versuchung, Fragen die
vom Arzt oder Pflegepersonal an den Betroffenen gestellt werden, schnell für
ihn zu beantworten. Auch wenn das durch den verständlichen Wunsch ausgelöst
ist, schnell Klarheit zu schaffen, ist diese Situation für den Aphasiker
sehr belastend. Wenn dies einmal nicht zu vermeiden ist, sollte man darauf
achten, dass der Betroffene nicht aus dem Gespräch ausgeschlossen wird.
Blickkontakt und Nachfragen nach der Zustimmung können in diesem Fall
eine entscheidende Rolle spielen.
Vertiefende
und weiterführende Literatur:
Schlaganfall - und dann?
- Vom Umgang mit Schlaganfall-Betroffenen (1). Helena Harms. IPSIS, 2002
Klinische
Neuropsychologie. Wolfgang Hartje, Klaus Poeck. Thieme, 2000
Katze
fängt mit S an. Aphasie oder der Verlust der Wörter. Ingrid Tropp Erblad. Fischer, 1994
Neuropsychologische
Störungen und ihre Rehabilitation. Mario Prosiegel. Pflaum, 2002
Neuropsychologie
im Alltag. Goldenberg, Pössl, Ziegler. Thieme, 2001
Schlaganfall
- Wie Sie sich auf ein verändertes Leben einstellen. Wilhelm/Lauer.
TRIAS, 2002