Unter der Bezeichnung
„Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie“ steht nicht ein
einziges und einheitliches psychotherapeutisches Behandlungsverfahren,
sondern eine Gruppe von therapeutischen Ansätzen, die alle aus der
Psychoanalyse hervorgingen.
Der Wiener Nervenarzt Sigmund Freud entwickelte Anfang des 20.
Jahrhunderts eine Theorie des menschlichen Erlebens und Verhaltens, aus
der er auch eine entsprechende Behandlungsmethode, die klassische
Psychoanalyse ableitete. Freud behauptete, dass verdrängte und damit
nicht mehr bewusste Gefühle und Konflikte den Menschen krank machen würden
und sogar körperliche Symptome hervorrufen könnten. Im Laufe der
Entwicklung und Erziehung wäre der Mensch gezwungen, speziell die
aggressiven und sexuellen Regungen zu unterdrücken und anderweitig in
Energie umzuwandeln. Gelänge dies nicht, so lebten diese Triebe und Gefühle
im Unbewussten weiter und würden sich in Form körperlicher Störungen,
aber auch seelischer Symptome wie Depressionen oder Ängste bemerkbar
machen. Durch die Psychoanalyse wollte Freud nun diese verdrängten
Anteile eines Menschen bewusst machen, und zwar indem er eine
Behandlungsform entwickelte, innerhalb derer der Patient auf einer Couch
liegt und der Behandler nicht sichtbar hinter diesem am Kopfende sitzt.
Der Patient berichtet dann alles, was ihm durch den Kopf geht, wobei der
Psychoanalytiker Deutungen dieser Äußerungen vornimmt. Ziel ist es, den
Erkrankten wieder in Kontakt zu den ursprünglichen und verdrängten Gefühlen
zu bringen, damit das Symptom als Ausdruck des seelischen
Ungleichgewichtes nicht mehr benötigt wird und die psychische Energie
frei fließen kann.
Da ein solcher Ansatz jedoch
vor allem viel Zeit benötigt, entstanden in der Folge andere
Herangehensweisen an psychisch begründete Probleme. Neben den
wirtschaftlichen Gründen ist es zudem nicht bei allen Erkrankungen
notwendig und gewünscht, die vollständige Kindheit und Persönlichkeit
des Patienten zu durchleuchten. Auch waren viele Patienten gar nicht
geeignet für die Psychoanalyse aufgrund ihrer Persönlichkeit aber auch
aufgrund ihres Krankheitsbildes. Handelt es sich beispielsweise um sehr
stark beeinträchtigte Menschen mit wenig innerem und eventuell auch äußerem
Halt, so wären durch das Aufdecken zu vieler Probleme und negativer
Lebensereignisse eher unangenehme Auswirkungen wie Labilisierungen zu befürchten.
Ziel einer
tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie ist nicht eine grundlegende
Umstrukturierung des Patienten und auch keine vollständige Analyse seines
bisherigen Lebens, sondern bestimmte ungünstige Lebensumstände und persönliche
Haltungen sollen soweit verändert werden, so dass die Symptome und
Beschwerden durch die gezielte Behebung der Ursachen nicht mehr entstehen
müssen. Darauf bezieht sich auch der Ausdruck „tiefenpsychologisch“,
denn es geht hier nicht um die Behandlung der Symptome, sondern man
vertraut darauf, dass durch die Behandlung tieferer Schichten eines
Patienten die Ursachen aufgelöst werden können. „Tiefer“ heißt in
diesem Zusammenhang, dass es um das (zum Teil unbewusste) Erleben und Fühlen
geht und nicht um die Ebene des bloßen Verhaltens und bewussten Denkens.
Die Methode der tiefenpsychologischen Verfahren ist eine aufdeckende, da
innere Konflikte, aber auch Konflikte mit anderen Menschen deutlich
gemacht und besprochen werden sollen, was nicht immer einfach und angenehm
ist. Neben dem allgemeinen Ziel der symptombezogenen Heilung sind aber
auch das allgemeine persönliche Wachstum und die Weiterentwicklung des
Patienten angestrebt.
Wie die tiefenpsychologisch
fundierte Psychotherapie konkret verläuft, kann man sich so vorstellen:
Zu Beginn wird meist eine Art Therapievertrag ausgemacht, in dem neben
formalen Regeln (Pünktlichkeit etc.) auch inhaltlich die Probleme des
Patienten genauer beschrieben werden und dementsprechend Therapieziele
gemeinsam definiert werden. Der Patient spricht im weiteren
Behandlungsverlauf ihm wichtige Gefühle, Probleme und Gedanken an, die
der Psychotherapeut dann mit dem Ziel der Aufklärung unbewusster Wünsche
oder Ängste deutet. Auch wenn Familie und Kindheit des Patienten viel Berücksichtigung
erfahren, so gilt die Besprechung der frühkindlichen Lebensphasen des
Patienten immer der besseren Gegenwartsbewältigung. Auch die Beziehung
zwischen Therapeut und Patient wird als aufklärend für die Beziehungen
und Probleme des Patienten im Allgemeinen betrachtet und zum Gegenstand
von Gesprächen. Manchmal werden auch Träume mit einbezogen, da diese
Aufschluss über das Unbewusste geben können.
Natürlich hat jeder
Psychotherapeut eine eigene „Handschrift“: der eine ist vielleicht
aktiver, der andere abwartender und zurückhaltender. Auch gingen aus der
Psychoanalyse wie bereits erwähnt unterschiedliche Richtungen hervor (zum
Beispiel die eher vom Freud-Schüler „Jung“ geprägten Behandlungsansätze
oder die von „Adler“). Die meisten Psychotherapeuten arbeiten mit bewährten
Mischformen aus den tiefenpsychologisch fundierten unterschiedlichen Ansätzen.
Von daher ist es zumindest für den Laien relativ unbedeutend, ob ein
Therapeut jetzt eher „individualpsychologisch“, „analytisch“ oder
„transaktional“ arbeitet.
Die tiefenpsychologisch
fundierten Psychotherapien sind die am häufigsten durchgeführten
Behandlungen. Die unterschiedlichsten Krankheitsbilder wie Zwangsstörungen,
Depressionen, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Störungen der
Sexualfunktionen, akute Krisen, Erschöpfungszustände und Störungen nach
dem Erleben extrem belastender Ereignisse („Traumata“) sind
wissenschaftlich erwiesenermaßen erfolgreich durch die
tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieverfahren zu behandeln.
In manchen Fällen rät der
Psychotherapeut auch zu einer vorübergehenden Einnahme von Medikamenten,
die auf die Psyche wirken (Psychopharmaka), die auf jeden Fall ärztlich
verordnet werden müssen. Dies kann bei Behandlungsbeginn oder in heftigen
Krisen sinnvoll sein, um den Patienten erst einmal etwas stabiler zu
machen, damit die Behandlung ohne Gefahren psychischer Einbrüche
verlaufen kann.
Neben der ambulanten
tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie ist auch eine stationäre
Behandlung möglich, zum Beispiel in einer Psychosomatischen Klinik. Diese
Maßnahme ist dann angebracht, wenn der Patient zunächst Abstand aus
seinem familiären oder Arbeitsumfeld braucht, um sich auf seine
Behandlung zu konzentrieren und um Mut zu Veränderungen zu schöpfen. Natürlich
sind solche Maßnahmen immer freiwillig, denn nur wer selber etwas verändern
möchte, kann psychotherapeutisch behandelt werden.
Bei der speziellen
Patientengruppe der Abhängigkeitserkrankten, also der Süchtigen wird
deren Veränderungsbereitschaft unter anderem auch durch die Voraussetzung
der Abstinenz geprüft. So wird kein Psychotherapeut mit einem betrunkenen
Patienten arbeiten. Oft wird ein Entzug von den Drogen jedweder Art
erwartet, bevor es zu einer Behandlung der tiefer liegenden Probleme
kommen kann. Die meisten Suchtbehandlungen finden bevorzugt im stationären
Rahmen statt, zum Schutz des Patienten aber auch zu Kontrollzwecken durch
die behandelnden Ärzte und Therapeuten.
Neben der Einzeltherapie
gibt es die Möglichkeit einer tiefenpsychologisch fundierten
Gruppenpsychotherapie. Auch hier stellt wieder der Behandler in Absprache
mit dem Patienten fest, was sinnvoll ist. Im stationären Bereich findet
die Gruppentherapie meist in Kombination mit der Einzeltherapie statt,
ambulant auch als Anschlussbehandlung einer Einzeltherapie. Die
Teilnehmerzahl liegt hier bei ca. 5 bis 8 Personen. Der Vorteil dieses
Behandlungsansatzes besteht darin, dass das Gruppengeschehen die
Konfliktentstehung und -wahrnehmung der Patienten beschleunigt und fördert.
Diese Gruppen sind lebendiger und lebensechter als eine Zweiersituation,
in der „nur“ über die Dinge geredet wird. Innerhalb der Gruppe
passieren die zwischenmenschlichen Beziehungen tatsächlich und können
direkt besprochen werden. Für viele Menschen stellt es auch eine wichtige
Erfahrung dar, sich mit Betroffenen von ähnlichen Krankheiten, Problemen
oder Symptomen auszutauschen. Andere wiederum fühlen sich durch die
Anwesenheit anderer Menschen dem Therapeuten nicht ganz so ausgeliefert.
Wirtschaftliche Gründe sind natürlich auch nicht unerhebliche Vorteile,
aber dennoch wenig ausschlaggebend für die Wahl dieses Verfahrens. Als
eine besondere Form der Gruppentherapie kann die Paartherapie betrachtet
werden, die aber unter anderem auch aufgrund der Krankenkassenrichtlinien
in der reinen Form im ambulanten Bereich selten durchgeführt wird. Üblich
ist allerdings innerhalb der Einzeltherapie, dass die Partner oder andere
wichtige Bezugspersonen des Patienten mit in die Behandlung einbezogen
werden können. Dadurch können bestimmte Konflikte leichter gelöst
werden, aber die Veränderungen des Patienten durch die Therapie sollen
auch dem Umfeld nachvollziehbar und plausibel gemacht werden. Sie berühren
auch andere Menschen und Lebensbereiche. Eine wirklich erfolgreich
verlaufende Psychotherapie zieht weite Kreise.
Krankheiten, die aus
unterschiedlichen Gründen gerne mit anderen Verfahren als die der
tiefenpsychologisch fundierten behandelt werden, sind beispielsweise
starke Angststörungen, durch die bedingt der Patient kaum mehr das Haus
verlassen kann und viele Aktivitäten vermeidet. Hier findet oft die
Verhaltenstherapie Anwendung. Auch Essstörungen - besonders im akuten
Stadium - werden nur selten tiefenpsychologisch fundiert behandelt. Ähnliches
gilt für chronische körperliche Erkrankungen und deren Folgen. Des weiteren
ist in der Therapie von Kindern ebenfalls die Verhaltenstherapie das
bevorzugte Verfahren, so zum Beispiel bei den sogenannten hyperaktiven Störungen.
Klassisch psychoanalytisch
hingegen werden Patienten behandelt, die weniger über konkrete
Schwierigkeiten oder einzelne Symptome klagen, sondern deren gesamtes
Leben konfliktreich und unbefriedigend erlebt wird. Hier sind eine ebenso
breit gefächerte wie grundsätzliche Aufarbeitung der Biografie des
Patienten Inhalt und Ziel der Psychotherapie.
Vertiefende
und weiterführende Literatur:
Friday, N.: Wie meine Mutter. Fischer, 1982.
Green, H.: Ich hab dir nie einen Rosengarten
versprochen. Rowohlt, 2000.
Jaeggi, E. et al.: Tiefenpsychologie
lehren - Tiefenpsychologie lernen. Klett-Cotta, 2003
Lair, J.C., Lechler, W.: Von mir aus nennt es
Wahnsinn. Kreuz, 2000.
Miller, A.: Das Drama des begabten Kindes. Suhrkamp,
2001.
Miller, A.: Am Anfang war Erziehung. Suhrkamp, 1983.
Miller, A.: Du sollst nicht merken. Suhrkamp, 1983.
Miller, A.: Das verbannte Wissen. Suhrkamp, 1990.
Moser, T.: Kompaß der Seele. Suhrkamp,
1986.
Rief, W., Hiller,W.: Somatoforme Störungen. Körperliche
Symptome ohne organische Ursache. Huber, 1992.
Vergriffen, gebraucht erhältlich.
Wardetzki,
B: Weiblicher
Narzißmus. Kösel, 2002.