In diesem Artikel soll das unbewusste Zusammenspiel zwischen
Partnerwahl und Partnerkonflikt beleuchtet werden. Dabei spielt der
Begriff der Kollusion nach Jürg Willi eine wichtige Rolle.
Er meint das unbewusste neurotische Zusammenspiel eines Paares, d.h. ein
Zusammenspiel auf einem hintergründigen, unausgesprochenen Einvernehmen
der Partner, sozusagen ein "geheimes Einverständnis".
Inhalt
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Abgrenzungsprinzip
-
Regressives
und progressives Verhalten
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Gleichwertigkeitsbalance
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Grundmuster
der Kollusion
4.1. Narzisstische Kollusion
4.2. Orale Kollusion
4.3. Anale Kollusion
4.4. Phallische Kollusion
-
Die
"Lösung"
1. Das
Abgrenzungsprinzip
Grenzen haben in einem System und somit auch in einer
Zweierbeziehung einen wichtigen Stellenwert. Zum einen grenzen sich die
Partner innerhalb der Paarbeziehung voneinander ab (Innengrenze).
Zum anderen grenzt sich das Paar gegenüber anderen Personen ab (Außengrenze).
Dabei zeichnen sich solche Grenzen dadurch aus, dass sie klar und
durchlässig sein können ("gesunde Abgrenzung"), oder aber
starr (fehlende Flexibilität) oder diffus (unklar).
Eine gesunde Beziehung zeichnet sich somit
durch eine klare Außengrenze aus. Die Beziehung der Partner zueinander
hat etwas typisches für dieses Paar, das es von anderen
unterscheidet. Diese Zweierbeziehung ist von außen als solche zu
erkennen. Die Partner fühlen sich als Paar und gestalten gemeinsamen Raum
und Zeit. Zugleich sind die Partner auch innerhalb der Paarbeziehung klar
voneinander zu unterscheiden und führen auch ein individuelles Leben, das
sie gegenseitig respektieren.
Bei den pathologischen (krankhaften) Beziehungen
können vor allem zwei Konstellationen unterschieden werden:
a. Paare mit starren Innengrenzen und diffusen Außengrenzen. Diese
errichten häufig aus Angst vor Selbstverlust und zu großer Intimität
einen Schutzwall zwischen sich. Verbindungen zu außenstehenden Personen
sollen zusätzlich die Abgrenzung gegenüber dem Partner absichern. Hinzu
kommen aber auch weltanschauliche Gründe, aus denen heraus außereheliche
Beziehungen gesucht werden, was besonders problematisch wird, wenn dabei
der Unterschied zwischen einer außerehelichen und der eigentlichen
Paarbeziehung verschwimmt.
b. Paare mit diffusen Innengrenzen und starren Außengrenzen. Diese
sehen in der Ehe eine exklusive Liebesbeziehung mit hohen Idealen und
Erwartungen an sich selbst und den Partner. Es wird die totale Vereinigung
(Symbiose) angestrebt. Auf Dauer überfordert diese unrealistische
Erwartung die Partner, und durch die allzu starke Umklammerung erstickt
die Liebe.
2.
Regressives und progressives Verhalten
Ein "gesunder",
"nicht-neurotischer" Mensch hat ein großes
Verhaltensrepertoire, das er in unterschiedlichen Situationen angemessen
einsetzen kann. Er besitzt ein hohes Maß an Gefühl und Verständnis für
sich selbst, Selbstständigkeit und damit Stabilität. Er kann seinen "kindlichen",
"regressiven" Bedürfnissen (wie Wünsche nach Schutz,
Geborgenheit, Zärtlichkeit, Liebe, Einander-Gehören etc.) ebenso
angemessen umgehen wie mit "erwachsenen",
"progressiven" Bedürfnissen (z.B. Wünsche nach Stärke,
Kompetenz, Tatkraft, Überlegenheit). In einer gesunden Beziehung können
die Partner flexibel zwischen progressiven und regressiven Tendenzen
wechseln.
Das Repertoire von regressiven und progressiven
Verhaltensweisen ist bei "neurotischen Störungen" in seiner
Flexibilität eingeschränkt. Die Möglichkeiten der persönlichen
Entwicklung sind nicht voll ausgeschöpft. Solche Menschen sind in ihren
Wünschen starr und ihr Verhalten auf wenige Muster eingeschränkt. Meist
besteht eine Fixierung auf eine regressive oder progressive Position. In
einer "neurotischen Kollusions-Beziehung" nimmt jeder
Partner eine starre Position ein. Andere - besonders komplementäre, d.h.
gegenpolige - Verhaltensweisen werden verdrängt. Die Partnerwahl findet
unter dem Gesichtspunkt statt, die eigenen verdrängten Tendenzen und
Wünsche an den Partner zu delegieren. Somit finden oft Paare zusammen, wo
der eine in einer progressiven Position ist (der regressive
Tendenzen verdrängt hat) und der andere in einer regressiven Position
(bei verdrängten progressiven Tendenzen), um sich unbewusst gegenseitig
zu ergänzen. Die Partner bilden aufeinander bezogene
"Interaktionspersönlichkeiten", die sich durch gegenseitige
Abhängigkeiten auszeichnen.
3.
Gleichwertigkeitsbalance
In komplexen Paardynamiken pendelt sich auf die Dauer
eine "Gleichwertigkeitsbalance" ein. Auch wenn es auf den ersten
Blick oft so scheint, gibt es meist nicht einen Herrscher und einen
Beherrschten oder einen Sieger und einen Besiegten. Oft werden - unbewusst
- subtile, manipulative oder destruktive Mittel eingesetzt, um den Partner
zu beherrschen. Wenn eine offene Gleichwertigkeit kurzfristig gestört
wird, z.B. indem ein Partner scheinbar als Sieger aus einem Streit
hervorgeht, hat der Verlierer wiederum die Möglichkeit, das Gleichgewicht
wieder herzustellen. Dies kann er subtil oder destruktiv tun (z.B. mit
Weinen, Vorwürfen, Davonlaufen, trotzigem Schweigen, Suizidversuche,
Alkoholrausch). Damit "beherrscht" plötzlich der scheinbar
Schwächere den Stärkeren.
4.
Grundmuster der Kollusion
Etwas vereinfacht ausgedrückt gibt es vier
Grundthemen, mit denen sich jedes Paar bei der Gestaltung einer
Beziehung auseinander zusetzen hat:
a. Narzisstisches Beziehungsthema. Entwicklung von
Selbstständigkeit/Selbstwertgefühl <---> Verwirklichung durch den
Partner.
b. Orales Beziehungsthema. Ausmaß und Verteilung von Fürsorge,
Helfen und Übernahme von Verantwortung für den anderen.
c. Anales Beziehungsthema. Beherrschung, Kontrolle, Führung
<---> Abhängigkeit und passive Hingabe.
d. Phallisches Beziehungsthema. "Klassische"
Geschlechterrollen <---> entgegengesetzte Tendenzen.
Der Begriff der Kollusion meint in diesem
Zusammenhang, dass bei beiden Partnern ein gleichartiger unbewältigter
Grundkonflikt besteht, der von beiden in verschiedenen Rollen
ausgetragen wird. Ein Partner übernimmt mehr die regressive, der andere
die progressive Seite. So entsteht der Eindruck, dass der eine Partner
geradezu das Gegenteil des anderen ist, es handelt sich aber tatsächlich
lediglich um polarisierte Varianten der gleichen Thematik. Diese
"Rollenverteilung" bewirkt die Anziehung und Verklammerung der
Partner. Jeder hofft, durch den Partner von seinem Grundkonflikt erlöst
zu werden.
Im längeren Zusammenleben scheitert diese "kollusive
Selbstheilungsversuch" aufgrund der Wiederkehr des Verdrängten
bei beiden Partnern. Anfangs erscheint vordergründig eine perfekt
gelungene Partnerwahl (da Gleichwertigkeitsbalance eingestellt). Oft
entwickeln sich aber immer extremere Positionen der Partner. Dann wird es
unerträglich, wenn der Partner die Tendenzen, die man selbst verdrängt
hat, immer deutlicher auslebt: auf Dauer kann es der Progressive nicht
ertragen, dem Partner jene regressive Befriedigung zu geben, die er sich
selber versagt - und der Regressive hasst den Partner, weil ihn das
Angewiesensein auf dessen Hilfe kränkt. So schlägt das Zusammenspiel der
Partner in eine destruktive Kollusion (Partnerkonflikt) um. Das,
was anfangs die Anziehung der Partner bewirkt hat, wird nachher zur
Ursache des Konfliktes.
4.1.
Narzisstische Kollusion